20.09.2015


Dieses Schaukelpferd muss ich euch unbedingt zeigen. Es steht an den ersten Häusern, wenn man vom Camino zu Domingos Herberge geht, und ich finde es so typisch für Spanien, denn die Menschen hier lassen nichts unbepflanzt, wo ein Blümchen drin Platz haben könnte. Ich finde das so klasse!


Leider hat mich inzwischen ein richtig ekeliger Husten erwischt. Das bleibt freilich nicht aus, denn mal schwitzt man, mal kühlt man wieder ein bisschen aus, dann schwitzt man wieder. Es wäre auch weiter nicht schlimm, würde ich mit meinem Gebelle nicht allen anderen in der Herberge den Schlaf rauben. Ein besonders netter Spanier ist sogar extra für mich aufgestanden und füttert mich mit irgnedwelchen Pülverchen und Bonbons, die ich bereitwillig in mich hinein-stopfe, denn ich fühle mich in meiner Rolle als Unruhever- ursacher ganz und gar nicht wohl.


Was ich auch bemerkenswert finde: Nachdem gestern alle Betten in der Herberge belegt waren, hat Domingo von irgendwo Matratzen herbei gezaubert, so dass die letzten drei oder vier Ankömmlinge zwar im Aufenthaltsraum, aber durchaus weich untergelagt übernachtet haben.


Muss ich zu diesem Bild noch etwas sagen. Nee, ne, nicht wirklich. Ich tu es aber doch: Als ich losgehe, habe ich einen fantastischen Sonnenaufgang.


In diesem Jahr machte ich in Salas nur ein kleines Päuschen und schaue nur kurz zu Manuel hinein, um ihm guten Tag zu sagen. Sein Sohn ist fast sogar noch ein bisschen süßer als letztes Jahr. Als er mich sieht, ruft er ganz laut: "Papa, un peregrino!" Und dann ist er ganz enttäuscht, dass ich nicht bleibe.


Irgendwie merke ich doch, dass ich durch unsere Hüttentour in Oberstdorf vor drei Wochen und die Picos ziemlich gut eingelaufen bin. Natürlich schnaufe ich wie ein Dampfross, aber nicht mehr zu schnaufen wäre nun beim Gehen auch nicht so unbedingt das Gelbe vom Ei.




Kurz vor Bodenaya passiert es dann: Ich verlaufe mich. Nun ist es ja schon blöd, wenn man sich überhaupt verläuft, aber noch viel blöder ist es, wenn man mit seinem eigenen Pilgerführer plötzlich im Nirwana steht. Gut, wäre ich nicht so dusslig tief in meinen Gedanken gewesen, wäre mir das nicht passiert. Ausgerechnet die Karte hilft mir wieder auf die Sprünge, dabei war ich mit denenen so unglücklich! Und - schwups - bin ich auch wieder richtig. Wie gut, dass ich mich habe!


Am Ende bin ich doch froh, als ich angekommen bin. Vor der Herberge sitzt schon fröhlich mein erster Pilger von Oviedo und freut sich, dass ich auch da bin. Ich sag es ja: In den Herbergen ist es immer ein bisschen wie nach Hause zu kommen. Und wir verdüddeln, "wie war dein Tag", die Zeit bis zum Abendessen in der Sonne.


Die Herberge in Bodenaya ist echt ein Hammer! Alejandro hat den Ort leider letztes Jahr verlassen und sie an David weitergegeben, während er selbst mit seiner großen Liebe, die er hier kennengelernt hat (David: "There ist so much love on the Camino!") nach Madrid gezogen ist.


Ich selbst habe Alejandro nicht kennengelernt, weil ich ja letztes Jahr bei Manuel in Salas geschlafen habe, aber so lieb und herzlich er auch war, David steht ihm darin in nichts nach! Heideröslein! Den nehme ich mit nach Hause und adoptiere ihn als großen Bruder für unsere Leben!

 

Hier möchte ich aber ganz unbedingt etwas loswerden, was mich wirklich ärgert: T. und K. kommen kurz nach mir an und kriegen leider kein Bett mehr, weil ich das "letzte" belegt habe. Das ist so schade, denn diese Herberge ist wirklich erlebenswert! Sie müssen leider weitergehen. Allerdings stellt sich bei fortschreitender Stunde heraus, dass ganz viele von denen, die hier ein Bett für diese Nacht reserviert haben, gar nicht kommen. Und das ist absoluter Käse! Tut mir leid, aber das macht mich stinkig: T. und K. mussten weitergehen, weil irgendwelche - David nennt sie "Tourigrinos", ich nenne sie lieber - Doofköppe es nicht für nötig halten, Bescheid zu sagen, dass sie das von ihnen reservierte Bett doch nicht brauchen. Das ist nicht in Ordnung! David gegenüber nicht, der sich ja auf hüttevoll eingestellt hat, und den anderen Pilgern gegenüber nicht, denn dieses Haus hat wirklich das, was meine Lieblingsherbergsväter den "Spirit de Camino" nennen würden. Man merkt es gleich, wenn man hereinkommt. Sie hat einfach diesen ganz besonderen Charme, die ganz besondere Wärme, macht dieses ganz besondere Bauchkribbeln.


Als David auf die "Regeln" zu sprechen kommt, wird mir erst einmal ein bisschen knautschig. Regeln sind so gar nicht mein Ding! Wenn ich "Regeln" höre, ist mein erster Gedanke immer: Wie kann ich am schnellsten gegen sie verstoßen. - Hier sind diese Regeln anders:


1. David möchte von keinem Pilger Geld in die Hand gedrückt bekommen. Er mag das nicht. Darum gibt es eine Donativo-Kasse (Spende) an der Wand.


2. Dieses Haus ist keine Herberge, sondern für eine Nacht das Haus, das zu Hause der Pilger. "Welcome home!"


3. Jeder darf sich an allem bedienen und benutzen, was er benutzen möchte. Es ist seins (also nicht das von David, sondern das von allen Pilgern).




4. Wir dürfen unsere Wäsche des Tages in einen Korb werfen und bekommen sie am nächsten Morgen zum Frühstück wieder zurück. Ich vergesse, meinen MP3-Player aus der Westentasche zu nehmen, aber David findet ihn und bringt ihn mir - "gewaschen und getrocknet - nein, war nur ein Scherz".


5. Für die Zeit hier in seiner Herberge sind wir alle eine große Pilgerfamilie (da muss ich ein bisschen ein Tränchen verdrücken, weil ich an meine Pilgerfamilie von letztem Jahr denken muss).


5. David und Christina, die ein paar Tage hier bei ihm verbringt, um ihm zur Hand zu gehen, kochen für uns. Um 20.00 Uhr isst die Pilgerfamilie gemeinsam - und ich finde das so schön!, weil das war für mich immer einer der wichtigsten Punkte mit den Jungs, dass wir gemeinsam essen und uns ganz in Ruhe bei Tisch austauschen können.

 


Genau so verläuft dieses Essen: Wir tauschen uns aus - und wie! Irgendwann müssen wir die Plätze tauschen, weil einer von oben nach unten und einer von unten nach oben quer über den ganzen Tisch austauscht. Das ist so schön!


Damit es kein wildes Gewusel gibt, beschließt die "Pilger- famile" nach dem gemeinsamen Abendessen (ich habe früher Linsensuppe ... nicht wirklich gemocht, aber hier esse ich sie mehr wie gerne!), wann GEMEINSAM aufgestanden wird. Das ist klasse! Kein Tütengeraschel, keine Unruhe hier ein bisschen und in einer viertel Stunde ein bisschen, keine Kopftaschenlampen, die im Zimmer herumflitzen.

 


Was ich auch klasse finde: David erzählt uns ganz viel über den weiteren Weg, die Etappen, die Orte und das Pilgern so mal rundherum und ich fange an, verschiedene Dinge anders zu betrachten:


Hospitalero würde ich jetzt nicht wieder einfach nur mit Herbergsvater übersetzen. Der Begriff stammt von Hospital und Hospitales waren nicht nur Unterkünfte, sondern vor allem Orte, an denen Pilger wieder so weit aufgepäppelt wurden, dass sie ihre Wanderung fortsetzen konnten. Die Hospitaleros haben dem Pilger also nicht nur ein Plätzchen im Heu bereitet, sondern ihn gepflegt, waren für ihn da. Das ist ein bisschen mehr als nur Herbergsvater.


 


Was ich auch schön finde: Wir treffen in Melide oder Arzúa nicht auf den Camino Francés, sondern der Camino Francés trifft auf uns! Schließlich folgen WIR dem ersten Pilgerweg nach Santiago überhaupt! - Das hört sich doch guuut an! - Natürlich gibt es keine "Besser-" oder "Schlechterpilger" - alle Stiefel- und Blasenträger sind gleich - ein bisschen auch die Turnschuhhupfis mit Tagesbeutelchen, aber vielleicht nimmt mir diese Interpretation ein bisschen die Wucht aus der Pilgerpolonaise, die mich letztes Jahr in Melide schier erschlagen hat und vor der ich ein paar Tage später ab Arzúa echt im wahrsten Sinne des Wortes davongerannt bin.


Aber jetzt bin ich schon wieder ganz wo anders. Einmal geräuspert und zurück nach Bodenaya: Ja, es ist so, für mich ist die Herberge von David mein Granon auf dem Camino Primitivo.


Davon einmal abgesehen habe ich den großen Vorteil, dass ich alleine in einem 5-Bett-Zimmer schlafen kann, was nicht nur mir mehr Ruhe bringt, sondern vor allem auch allen anderen. Bei offenem Fenster und halb im Sitzen ist mein Husten nicht mehr gar so garstig.

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Kommentare: 1
  • #1

    Jürgen (Dienstag, 06 Juni 2017 23:33)

    Die Herberge von David ist mein Granon auf dem Primotivo. Besser kann man es nicht ausdrücken. Ich habe auch in beiden Häusern Gast sein dürfen und es genauso wie du empfunden. Ich hoffe David wird mit seiner Herberge auf Basis von Donativo nicht enttäuscht und kann noch lange Gastgeber sein. Es ist so ein toller Ort.