21.09.2015 Bodenaya - Campiello


Lach! So ein Luxus! Ich habe heute Nacht ein ganzes Zimmer für mich gehabt! Weil mich seit ein paar Tagen ein ekeliger Husten plagt, habe ich die beiden, die sich hier noch einquartiert hatten, davor gewarnt und - schwups - haben sie sich vor mir zurückgezogen. Das heißt, ich konnte bei offenem Fenster schlafen und hatte auch den Druck nicht, nicht husten zu dürfen, um andere nicht zu stören. Das hat mir so gut getan und mir ganz viel Schlaf geschenkt. Weil, das kennt ihr doch bestimmt auch: Wenn man denkt, dass man jetzt ganz bestimmt nicht husten darf, dann muss man das erstrecht.


Wir werden zur gestern abgestimmten Zeit mit Musik geweckt, unsere Kleider liegen, wie angekündigt, gewaschen und getrocknert wieder zum Anziehen bereit, wir frühstücken gemeinsam und nach und nach machen sich alle auf den heutigen Weg. Christina, eine Freundin von David, muss noch schnoll ein paar Erinnerungsfotos von uns machen, dann watschel auch ich wieder los. Es fällt mir ein bisschen schwer, denn diese Herberge ist einfach zu schön, als dass man sie gerne wieder verlässt.


Morgens ist es einfach nur gnadenlos schön: Die Nebelschwaden, die Sonne - grandios! In diesem Jahr folge ich keiner singenden Männertruppe falsch herum um einen Kreisel, sondern gehe allein, finde den richtigen Weg und genieße die Stille und Einsamkeit - und dass ich nicht durch die Pfützen schier hindurchschwimmen muss. Es gibt unterwegs oft Momente, in denen ich einmal in mich hineingrinsen muss, weil mich Erinnerungen von letztem Jahr einholen. Und es fehlen mir die Menschen, die zu diesen Erinnerungen gehören. Ich habe in diesem Jahr noch keine "Pilgerfamilie", zu der ich gehören darf. Aber es war ja auch gerade erst meine zweite Herberge - vielleicht muss ich ja nur erst noch in eine hineingeboren werden.


In Tineo finde ich auf der Rückseite eines Cruceros vor der Iglesia de San Pedro das Heilige Jakobchen. Das ist so schön!


Ich gehe in die Stadt hinunter und mache, nachdem ich mich in einer Apotheke mit noch mehr Mittelchen gegen meinen Husten eingedeckt habe, Rast in einer Bar. Kurz überlege ich, ob ich hier bleiben soll. Aber es ist noch sooo früh!


Das ist eines der Dinge, die auf dem Camino immer ein bisschen schwierig für mich sind: Wenn ich früh irgendwo bleibe - was mache ich mit dem ganzen Rest des Tages? Die Orte, in denen die Herbergen sind, sind zwar oft schon auch ein bisschen größer, so wie Tineo hier, aber so groß, dass man getrost ein paar Stunden in ihnen herumdüddeln und sich Sachen angucken könnte, sind sie dann doch nicht.


Ich beschließe jedenfalls, bis Campiello weiterzugehen. Das sind noch knapp 14 km, also rund drei Stunden. Da gibt es zwar auch nichts zu gucken, aber es sind drei Stunden weniger Zeit zum Düddeln.




Was ich zu diesem Zeitpunkt leider nicht weiß, sonst hätte ich mir das mit dem Weitergehen bestimmt noch überlegt: Hier gibt es, gleich da, wo ich gerade in der Bar sitze, ein ziemlich nobles Hotel, in dem auch eine Herberge eingerichtet wurde, und die Pilger dürfen den Spa-Bereich mitnutzen! Heideröslein!, da hätte ich den Tag luxuriös begonnen und genauso beenden können!


Nachdem der Weg erst noch schön weitergeht, kommt vor Campiello ein langes Straßenstück. Das ist nicht so schön. Ich mag einfach keinen Asphalt und die Sohlen meiner Füße fangen an zu brennen.


Ich weiß jetzt nicht so genau, ob es ein Segen ist, dass ich diesen Weg schon kenne und weiß, dass hinter einer langgestreckten Kurve der Ort kommt, oder ein Unsegen, weil ich weiß, dass mir eben diese Kurve schon letztes Jahr ziemlich wehgetan hat. Am Ende ist das vielleicht auch egal, weil, ob Segen oder nicht, ich muss da durch und wackle mit zusammengebissenen Zähnen vor mich hin.





Am Ende werde ich dann doch ein bisschen dafür belohnt, dass ich nicht in der Nobelherberge in Tineo geblieben bin, denn in Campiello hat gerade vor zwei Monaten eine zweite und wirklich lieb gemachte Albergue geöffnet, in der ich schon den Rucksack von K., unserem österreichischen Picolinomitglied, entdecke. Habe ich gerade noch meine Pilgerfamilie vermisst? - Vielleicht habe ich die längst und es einfach noch nicht bemerkt. Und weil wir gerade beim Thema sind: T. kommt auch noch! Und er wird zu seiner Verwunderung vom Hospitalero gleich mit Vornamen begrüßt! Dem hatte ich nämlich erzählt, dass noch zwei Damen und ein Herr, nämlich T., mit Flügeln an den Schuhen unterwegs sind. Der war dann natürlich leicht zu erkennen! Ich finde es nur schade, dass ich sein Gesicht in diesem Moment nicht gesehen habe!



Der Hospitalero, der zur Familie gehört, aber eigentlich nur hier ist, um den Laden und seine Homepage zum Laufen zu bringen, ist sichtlich stolz auf diese Herberge und erzählt mir ganz viel. Besonders schön finde ich, die um diesen Brunnen, in den man jetzt hinter einem Glasfenster im Schlafraum hineingucken kann: Hier ist nämlich, wie er sagt, der Ursprung des Ortes. Hier schöpften früher die Frauen von rundherum das Wasser und trafen sich zum Wäschewaschen und natürlich zum Ratschen. Heideröslein!, war damals noch die Welt einfach! Und billig! Wenn mir heute nach ratschen ist, muss ich zu Aldi oder Globus gehen. Da kann ich dann wohl auch schnattern wie ein Waschweib, aber billig komme ich meistens nicht davon! Da fallen mir dann immer Dinge in den Wagen (bei Globus nehme ich schon immer nur ein kleines Nachziehkörbchen, was aber auch nicht wirklich hilft, denn selbst da passt so manches hinein!), die brauche ich vielleicht jetzt gerade im Moment nicht unbedingt, aber es könnte ja sein, dass ich das mal irgendwann brauchen könnte!


Und weil wir da gerade beim Thema sind: T. läuft nach dem Abendessen in der Tienda zur Höchstform beim Einkaufen auf! Er wuselt durch das Lädchen und am liebsten hinter der Theke herum und wirbelt und kauft und ... Und ich brauche ganz dringend neue Taschentücher, um mir die Lachtränen abzuwischen!


Ich musste gerade bei dem Wort "Herr" ein bisschen grinsen - auch wenn das nun mit dem Weg gar nichts zu tun hat:


Als Marius gerade anfing, in halbwegs vollständigen Sätzen zu sprechen, fuhren wir gemeinsam in der S-Bahn in Frankfurt - ich glaube, es war auf dem Weg vom Hessencenter in Richtung Stadt. Er stand erst auf dem Sitz und guckte aus dem Fenster, dann fuhren wir aber in die Röhre, draußen wurde uninteressant, weil es ja nix mehr zu gucken gab, und er entdeckte hinter uns einen Mann, der wohl für seinen, Marius, Geschmack zu ernsthaft in seine Unterlagen auf dem Schoß vertieft war. Jedenfalls fragte Lüttchen ganz laut: "Muddi, warum guckt der Herr so sauer?" - Ich hatte gar keine Zeit dafür, peinlich betroffen zu sein, weil ich viel zu viel mit meinem Stolz beschäftigt war. Mein Kind, ein Dreikäsehoch, benutzte den Ausdruck "Herr" statt "Mann" (oder, was ich ganz schrecklich finde, "Onkel"). Das war MEIN KIND!


Musste ich jetzt gerade mal erzählen.

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