Heute meint es der Wettergott ganz und gar nicht gut mit mir: Zuerst geht es ja noch und ich bin fest davon überzeugt, dass der Tag schon werden wird. Voll Energie und Vorfreude, weil ich ja
weiß, wie schön dieser Weg ist, mache ich mich auf die Socken und die ersten etwa zwei Stunden ist auch alles gut. Aber dann fängt es an, richtig hässlich zu werden. Wir stecken in einer Wolke
und die ist kalt und nass und hässlich und lässt uns nicht aus. Ich bin so froh, dass T. und K. bei mir sind und immer aufpassen, dass ich den Kontakt zu ihnen nicht verliere, aber laufen macht
Spaß sieht einfach anders aus. An den Gebäuden von Fonfarron machen wir Pause (das sind Steinhäuser, die wohl als Ställe dienen), aber die bringt mir keine Erholung, sondern nur kalt.
Wäre es nicht so grausig, würde ich jetzt gerade mal grinsen, weil ich letztes Jahr den Weg ganz anders empfunden habe als heute. "Drei stramme Anstiege, aber nie lang" - heute würde ich das so
nicht schreiben!
Im Moment könnte ich gar nichts schreiben, weil ich ständig nichts sehe. Es ist zwar nur selten wirklich Regen, der mir die Durchsicht durch meine Brille verwässert, aber sie ist ständig so nass, dass ich auch ohne den Dunst um mich herum nichts sehen würde. Manchmal setze ich sie ab, dann ist zumindest das Nasse weg. Aber ohne sie kann ich ja kaum bis zur Nasenspitze gucken geschweige denn genau erkennen, wo ich hintrete. Dann verliere ich auch noch T. und K. aus den Augen und latsche fröhlich nach irgendwo.
Es ist nicht weit, ich merke es schon bald und habe die beiden auch ganz bald wieder eingeholt, weil die so lieb sind und ständig nach mir gucken, aber mir ist jetzt einfach mal eben nach Krise.
So.
Kurz darauf kommen wir zur Straße und - ein Wink des Himmels! - finden die Telefonnummer eines Taxis. Ich habe das noch nie gemacht, aber jetzt ist mir gerade mal alles schnuppe: Ich rufe an,
sage ihnen, wo ich bin und dass sie mich SOFORT hier abholen sollen. Schluss! Aus! Habe fertig! - Und Hallo!, ich kenne den Weg: Da kommt jetzt ein ziemlich steiles Stück. Ich bin steif vor Kälte
und kann kaum bis zu meinen Füßen gucken. Ich liebe solche Wege, aber jetzt gerade muss ich das ganz und gar nicht haben. So.
Und dann stehe ich zwischen dem verkommenen Gemäuer eines alten Refugios und schnattere vor mich hin. Als die Dame mit dem Taxi kommt, bin ich so am Zähneklappern, dass ich nur nicken oder den
Kopf schütteln kann. Es stellt sich heraus, dass sie direkt neben der privaten Herberge in Berducedo wohnt. Sie kennt also den Weg und ich brauche auch gar nicht mehr viel zu
sagen.
Mag ich auch ehrlich gesagt nicht, denn kaum sind wir auch nur zwei oder drei Minuten gefahren, sind wir heraus aus der Wolke. Ich kann jetzt nicht behaupten, dass uns das der blaue Himmel
anlacht, aber ich hätte nur noch ein bisschen weitergehen müssen, dann wäre alles gut gewesen. Wir sind wohl die ganze Zeit mit dem Ding nach oben gegangen. Eine Pause mehr, ein bisschen
verschnaufen hier oder da und sie hätte uns überholt und wir wären sie losgewesen. Ganz klasse! Jetzt bin ich aber stolz auf uns, dass wir so schnell waren! - Ich könnte mich in den Hintern
beißen ... was aber gerade nicht möglich ist, weil der ganz fest auf meinen steifgefrorenen Händen sitzt und ich den von da auf gar keinen Fall wegbewegen möchte.
Die private Herberge in Berducedo ist übrigens ein tolles Beispiel für freie Marktwirtschaft: Hier regelt eindeutig die große Nachfrage den Preis. Außer ihr gibt es nur eine öffentliche Herberge mit gerade mal 12 Plätzen, dass Pilgern hier also 15,-- € abverlangt wird, hat nichts damit zu tun, dass sie sich durch ihre Ausstattung besonders hervorhebt. Aber die Taxifahrerin erzählt mir unterwegs, dass nächstes Jahr eine weitere private Herberge eröffnet werden soll. Ich denke, ein bisschen Konkurrenz tut dem Geschäft hier nur gut!
Die anderen in dieser Herberge kommen alle von der Alternativstrecke (es gibt eine zweite Route, die zwar weiter ist und mehr Höhenmeter hat, aber auf der es zwischendurch Orte, Bars und zwei
Herbergen gibt, so dass man nicht stundenlang in der spanischen "Hochgebirgswildnis" ausgesetzt ist. - Ich bin ja nunmal als Tochter unseres Vaters und damit mit einem ganz eigenen Weltbild
großgeworden: Wenn man nicht um 6.00 Uhr unterwegs ist, ist der Tag nix mehr wert, wenn man nicht bei höchstens einem halben Fehlschritt mindestens 500 m abstürzen kann, ist der Weg nicht
gefährlich und unter einem Zweieinhalbtausender ist ein Berg bestensfalls ein höherer Hügel. Darum krusselt es mir immer ein bisschen das Haupthaar, wenn ich vom Hospitales von "Königsetappe" und
Hastenichtgesehen lese. Er ist eben eine Bergtour, aber nur einen Tag lang) (wobei dieser Tag heute ganz offensichtlich nicht mein Tag war) (was aber nun nicht an der Tour lag, sondern an dieser
blöden Wolke!). Es sind lauter neue Gesichter. Aber das macht gar nichts: Ein Franzose hat riesige Steinpilze gefunden und fragt mich sofort, ob ich Lust habe mitzuessen. - Men Französisch ist
ein bisschen eingerostet und ich finde gerade nicht die richtigen Worte, ihm zu sagen, dass ich eigentlich drei Mitesser bin (T. und K. sind weitergelaufen - und ich bin ehrlich gesagt ziemlich
neidisch darauf ... wenn auch nicht ganz unglücklich darüber, dass ich schon gemütlich an einem Tisch sitze und eine Tasse Kaffee trinke, während die noch watscheln).
Ganz viele von ihnen werde ich in Santiago wiedertreffen: Eben dieser Franzose wird mich beim Pilgergottesdienst anstupsen, weil wir, ohne es beide zu merken, schon die ganze Zeit
nebeneinanderstehen, und mit Andre und Petra werde ich ihre Ankunft in Santiago erleben dürfen - zwei sehr schöne Momente. Ich werde deshalb zwar zweimal den Pilgergottesdienst verpassen, aber es
wird mir nichts ausmachen, weil diese Momente einfach so ... wertvoll waren.
Als wir abends in der Bar sitzen und an unseren plato combinados, das sind so gemsichte Teller mit Spiegeleiern, Pommes und noch etwas dazu, müffeln, kriege ich allerdings das Bild von diesen leckeren Pilzen nicht aus dem Kopf!
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