24.09.2015 Castro - A Fonsagrada


Ach, Kinders, ich kann mich immer an den Wolkenmeerbildern morgens gar nicht sattsehen, wenn man so obendrüber steht und über sie hinweggucken kann. Das ist soooo schön! Und jetzt guckt euch mal da noch die Schäfchenwolken an, ist das nicht klasse! Oh, ich liebe es!


Ach so, ihr seid ja eigentlich hier, um etwas über meinen Weg zu lesen. Manchmal habe ich ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich gar nicht so viel schreibe. Für mich ist das ja nun so, dass ich ihn schon kenne. Bei Dingen, die man schon kennt, denkt man nicht so oft: Das muss ich jetzt erzählen, weil das ist klasse! Man nimmt sie nicht mehr so dolle wahr. Das ist total schade - räumt aber irgendwie auch auf und macht den Blick wieder frei für Schäfchenwolken.



Beim Frühstück hat sich eine ganz andere Platzbelegung ergeben als gestern Abend. - Kennt ihr das, dass, wenn man einmal auf einem Stuhl gesessen hat, bei der nächsten Gelegenheit automatisch wieder zu diesem hingeht. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und ich fühle mich ein bisschen komisch, als ich mich an den anderen Tisch setze, weil ich hier gestern eben nicht gesessen habe.


Aber dann ist es gut so, denn an dem anderen Tisch sitzt einer der Herren, mit denen ich heute Nacht das Zimmer geteilt habe. Ich glaube, mein blöder Husten hat ihn ein bisschen ... genervt. Es tut mir auch total leid, aber ich kann es nicht ändern. Daheim kann ich ausweichen, schlafe auf dem Sofa (wo ich komischer Weise gar nicht so doll husten muss; aber wenn ich nur das Wort "Bett" denke, kriege ich mich kaum noch ein!). Hier kann ich nur Bonbons lutschen und im Sitzen schlafen - mehr kann ich nicht tun.




Nach einem  Höhenweg mit diesen wunderschönen Aussichten wartet leider eine Straße auf mich. Ich kann mich nicht mehr an sie erinnern und stutze. Mein Bauchfüßler sagt: "auf ihr weiter". Aber nach einer Weile traue ich mir selbst nicht mehr. Die Straße ist so ... groß und breit ... was nicht auch heißt, dass sie von vielen Autos befahren wird (darüber wundere ich mich eh immer: Es gibt in Spanien so viele neue und breite Straßen, auf denen man nur ganz selten ein Auto sieht). Aber wenn wir in Deutschland so breite Straßen haben, lassen wir darauf möglichst keine Wanderer laufen. Das ist dann ein bisschen, wie bei den Straßenmeldungen: Achtung!, Jakobspilger unterwegs auf einer Bundes-straße. - Immer diese Pilger halt, die sind aber auch durch nichts zu bremsen!


Nach einer Weile kehre ich um (das passt einfach nicht in meinen deutschen Kopf), latsche das ganze Stück bergauf wieder hinunter und treffe auf meine italienischen Mitabend-essenesser. Wir stehen ein Weilchen ratlos, versuchen Pfeile herbeizugucken und beschließen dann, doch wieder die Straße nach oben zu gehen. Und ich kann euch sagen: Da bin ich froh, dass einer von ihnen auch die englische Sprache nicht mit Punkten und Kommas ((ich hab jetzt noch einmal nachgesehen, weil "Kommata" so ... gestelzt aussieht (unsere Oma hat da immer gesagt: Wie huste gewollt und kein Hals gehabt) und siehe da: "Kommas" geht auch! Ach, das ist ja schön!) (Globusse oder Atlasse gehen übrigens immer noch nicht und das bleibt auch hoffenltich so!


(Heideröslein!, ich hab das einmal in einem Geschäft gehört, wie ein Verkäufer zu einer Kundin sagte: "Des hammer do bei de Atlasse und Globusse". Ich sag euch: Ich biege ja ganz oft die deutsche Sprache hin und her und so, wie sie mir gefällt, aber da hat sich mir das Nackenhaar gekräuselt!)) (ich mach jetzt um den Text noch eine große Klammer drumherum, weil sonst weiß ich ja selbst nicht mehr, wo ich mit was anfange und wo ich damit aufhöre) (es gibt inzwischen noch den Begriff "Globoli" - das sind zwar auch Kügelchen, aber viel kleiner als unsere Erde und haben mit "Globus" nichts zu tun (bis auf das, dass die, die auf dem Globus leben, welche schlucken können))) belastet und mich so von dieser blöden Straße ablenkt, dass ich sie schier gar nicht mehr merke.

Jetzt, zu Hause, wenn ich mir die Bilder von letztem Jahr noch einmal angucke, weil ich parallel zu diesem Blog meine Updates für den Bauchfüßler schreibe und gleichzeitig einen Vortrag über den Camino Primitivo vorbereite, fällt mir die Situation letztes Jahr wieder ein: Da bin ich mit Katy gegangen und wir sind auch irgendwann umgekehrt! Heideröslein!, ich hätte es also besser wissen müssen! In meinem Bauchfüßler werde ich also schreiben, dass wir uns da auf gar keinen Fall verunsichern lassen sollen und stur auf der Straße bleiben, auch wenn uns das gar nicht in die deutschen Köpfe passt!


Nun denn, manche Wege muss man einfach zweimal zweimal gehen, bevor man kapiert. Vielleicht ist das eine Lektion, die ich für heute haben sollte. Ich mache ja auch sonst viele Fehler zweimal, weil ich einfach nicht aus ihnen lernen will. Manchmal wehrt sich aber auch einfach allles in mir dagegen! Aber wenn ich mir dann zweimal die Finger verbrenne, dann sollte doch selbst ich ... Ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf.

Zumindest bei falschen Fehlern nicht. Es gibt auch Dinge, die würde ich - auch wenn ich inzwischen nur zu gut weiß, in welche Richtung sie ausschlagen können - immer wieder genau so und nicht anders machen.


Katy ist für mich eine ganz liebe Erinnerung: Sie kam plötzlich in Santiago angeschlappt und ich hab sie begrüßt: You did it! Du hast es geschafft! - Da winkte sie ab: Sie war vorgestern schon angekommen, gestern unterwegs nach Finisterre, aber da hat ihr unsere Pilgerfamilie so gefehlt, dass sie den nächsten Bus zurück genommen hat!




An der Grenze von Asturien nach Galicien wird mir das Herz ein bisschen schwergemütet: Hier sind wir letztes Jahr so oft hinübergehupst, bis wirklich jeder ein Hüpfbild hatte, mit dem er zufrieden war. Das hat ein Weilchen gedauert - aber wir hatten so viel Spaß dabei! Heute bin ich hier alleine. K. ist ein gutes Stück vor mir, fotografiert und geht weiter. Ich mag sie auch nicht zurückrufen. So gern ich sie mag - ich mag sie als sie, aber die Menschen aus dem vergangenen Jahr fehlen mir trotzdem. Also mache ich nur schnell ein paar Bilder und schlurfe ein bisschen traurig weiter.


Dann denke ich aber: Wie blöd bin ich denn?! Statt traurig zu sein, sollte ich mich doch freuen, dass ich diese schöne Erinnerungen überhaupt haben darf!


Das passt jetzt eigentlich gar nicht hierher, aber ich habe in einem TV-Gespräch einmal eine Mutter gesehen, die ihr Kind verloren hat. Sie hat mich tief beeindruckt: Sie hat eine Liste geschrieben, auf der einen Seite Gründe, warum das Kind gestorben ist (die blieb leer; dafür kann es keine auch nur halbwegs befriedigende Gründe geben!) und auf der anderen Seite Gründe, warum das Kind gelebt hat. Dazu ist ihr so viel eingefallen! Und daran hat sie sich festgehalten.


Mich hat diese Frau ganz tief berührt.


Bevor ich von der neuen Herberge erzähle, möchte ich ganz kurz unten den Kommentar auffangen (Danke!!!!):


Es gibt - auch auf dem Primitivo - Pilger, die wieder nach Hause zurücklaufen. Nun habe ich ja schon gewaltigen Respekt vor denen, die von daheim aus loslaufen, aber das ist für mich der Oberhammer! Ich freue mich ja schon nach 3 - 4 Wochen auf mein Bett, meine Dusche, meine Toilette und vor allem Kleider, die nicht müffeln (meine Sachen fangen immer an zu müffeln!). Und Hallo!, ich mag auch mal wieder etwas anderes tragen, als Microfaser in Zipp und Zwiebel!


Dazu kommt, dass man auf dem Rückweg ganz schön alleine sein muss. Auf dem Hinweg trifft man ja immer wieder die gleichen Menschen, kann Kontakte herstellen, kann sich unterhalten - irgendwann vielleicht auch mal ein bisschen tiefsinniger, kann zusammen lachen und weinen. Abends wird man vielleicht nicht "Schatz" genannt, aber es kommt ganz oft die Frage: Wie war dein Tag? Wie fandest du die oder jene Strecke. - Man kann sich einfach austauschen.


Zurückgeher können das nicht. Die sehen die anderen Pilger nur beim Vorbeimarschieren oder einmal in der Herberge. Natürlich wollen sie es so und haben ihre Gründe dafür, aber ich stelle mir das - für mich - ganz furchtbar vor.

 

Ich dusslige Nuss habe von der neuen Herberge in A Fonsagrada kein Foto gemacht, dabei ist die total schön! Darum muss jetzt diese Aufnahme von der ersten Bar in Galicien ihr wildes Durcheinander hinhalten, während ich ein bisschen vor mich hinschwärme (hier darf ich das, in meinen Bauchfüßlern versuche ich, mir Wertungen zu verkneifen, weil jeder eine andere Wahrnehmung hat, auf andere Dinge Wert legt). Sie befindet sich rechts der Kirche, hat 34 Betten in 8-/6- und 4-Bettzimmern, eine wunderschöne, komplett eingerichtete Küche (keine Mikrowelle) - sogar mit Spülmaschine! Kinders, das ist so angenehm, wenn Teller und Besteck nicht nur notdürftig abgewutscht werden! Es gibt Kaffee, Tee, Milch, einen Getränke und einen Snackautomaten, ganz viele Tische und Stühle, Wasch-



maschinen, Trockner, 4 Naßzellen mit WC, Waschbecken und Dusche und eine behindertengerechte Naßzelle. Die Matratzen sind zwar aus diesem hässlichen Plastik, auf dem man so eklig schwitzt und dann anklebt, aber hier hat man einfach einen Schritt weiter gedacht! (oh, ich bin so begeistert!) (tut mir leid, aber das ist echt klasse!): Jedem Bett ist ein Schrank (ob er abschließbar ist, darauf habe ich jetzt gar nicht geachtet) zugeordnet, in dem sich eine Bettdecke und Bettzeug, d. h. Laken für auf die Plastikmatratze, das Kissen und die Bettdecke, uuuuund - dadadadaaaaaa!!!! - ein frisches Handtuch befindet. Das ist so klasse! Und es kostet ganze 10,-- €!

Oben hat es sehr schöne Doppelzimmer mit Bad für 40,-- €.



Darf ich mal kurz ein bisschen knittrig sein, bitte: Hier möchte ich gerne die Betreiberin der privaten Herberge in Berducedo herschleppen und ihr mal zeigen, was andere Herbergen Pilgern für viel weniger Geld anbieten - nicht nur können, sondern es mehr als gerne tun! Der Hospitalero (und ich nenne ihn so auch in Davids (s. Bodenaya) Sinn, ist so zuvorkommend, aufmerksam und total nett, kocht uns Kaffee, räumt die Spülmaschine ein und wieder aus - den würde ich mir glatt mit nach Hause nehmen!


Bevor ihr zum Essen geht, lasst euch auf alle Fälle den Türcode verraten! Wir waren zwar rechtzeitig vor 22.00 Uhr wieder zurück, aber bis wir die Klingel (auf dem Tastenfeld oben links) gefunden hatten ...



Uuund geht zum Essen wieder an der Kirche vorbei, über die Straße und gegenüber in die Rúa Burón (da ist links ein Turm mit Uhr) bis zu diesem schönen Crucero (Kreuz). Gegenüber ist eine Pulperia, in der man sich mit dem Pilgermenü einmal quer durch die hiesigen Spezialitäten schmatzen kann: Caldo Gallego (galicische Kohlsuppe), Pimientos de Padrón (kleine, grüne Paprikaschoten in Olivenöl mit grobem Salz) und Pulpo (Tintnfisch, aber so richtig mit allem dran, was ein Tintenfisch halt so hat: Ärmchen, Saugnäpfe - sieht grausig aus und ist soooo lecker!), dazu Vino Tinto. Wenn ihr euch dann noch einen Chupito Hiervas (ein Stamperl Verdauungskräuterlis) gönnt, könnte das mit der Klingel schwierig werden! (Ich weiß das!)

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Kommentare: 1
  • #1

    pilger (Donnerstag, 22 Oktober 2015 17:13)

    Hola Andrea, die Strasse bin ich auch gelaufen, ;-) war ja unterwegs auf dem Primitivo, und dachte so bei jedem Schritt, kann das richtig sein. Nein ich brachte nicht umgekehren, hatte das Glück das mir ein junger Engländer mit Gitarre entgegenkam und mir bestätigte: "yo are right, I go back", man war ich erleichtert.

    Ich hab Zeit zu warten, bis du wieder mal was schreiben möchtest, danke.