28.09.2015 Lugo - Friol

 

Auf heute habe ich mich schon ganz arg gefreut, denn heute kommt eine der schönsten Etappen überhaupt auf dem Camino Primitivo, auch wenn die in Lugo ein bisschen verpönt ist. Jedenfalls war der Hospitalero letztes Jahr merklich unfreundlicher zu mir, als ich ihm sagte, dass ich die Nordroute gehen möchte, und in diesem Jahr hat mir eine Mitpilgerin sogar erzählt, dass man in der Touristeninformation behauptet, dass diese Strecke in Santiago für die Compostela (also die Urkunde, die man bekommt, wenn man mindestens die letzten 100 km gelaufen ist (das wäre dann also so ziemlich genau ab Lugo) oder die letzten 200 km auf dem Fahrrad- oder Pferdesattel bestritten hat) nicht anerkannt wird.

 

Für alle, die sich überlegen, auch die Nordroute zu wählen, weil die einfach viel schöner ist, als der eigentliche Camino: Das ist nicht wahr! Lasst euch nicht verunsichern! Geht und genießt den Weg! Er ist so schön!

 

Zuerst geht es wieder zum Teil auf solchen Planken am Fluss und dann an der Mera entlang, die anfangs so ruhig steht, dass sich die Bäume, Büsche und Gräser in ihr spiegeln.

 

Zwischendurch wird sie dann ganz aufgeregt und plätschert lauthals blubbernd über die Steine, um dann wieder ganz ruhig zum nächsten Ort hin auszulaufen. 

 

Dann geht es ein Stück auf Asphalt, aber nicht wirklich viel und nicht wirklich hässlich, bevor die grünen (hier sind es grüne Pfeile, keine gelben! Zum Glück hat seit letztem Jahr jemand gemerkt, dass in grünen Blättern mattgrüne Pfeile nicht wirklich ein Ausdruck unbändiger Intelligenz sind, und ihnen ein leuchtendes Neonjäckchen angezogen) Pfeile uns für den ganzen Rest des Tages zwischen Weiden, in Wälder und entlang von diesen wunderschön wild überwucherten Trockenmauern führen. Wir sind für Stunden völlig herausgenommen von der Welt und genießen jeden Schritt.

 

 

Zwischendurch machen wir das, was mir in all den Tagen so gefehlt hat: Wir fletzen uns auf eine Weide und lassen für eine kleine Weile den Weg Weg sein, bummeln in der Sonne und quasseln munter drauflos (nicht, dass ich behaupten möchte, dass wir beim Laufen nicht quasseln würden). Sonst sind K., T. und ich nicht oft so wirklich miteinander gelaufen. Wir haben einfach einen völlig unterschiedlichen Takt (ich ticke am langsamsten, aber ich bin ja Kummer gewöhnt), aber hier genießen wir es einfach nur zusammen zu sein. Also ich genieße es jedenfalls ganz unverschämt und ich denke, K. und T. geht es ähnlich, weil sonst würden sie ja nicht so bereitwillig mit mir herumkriechen. Für mich ist es einer der schönsten Tage auf dem Camino. Dieses blöde, gehetzte Gefühl ... hat sich in Lugo offensichtlich so wohlgefühlt, dass es die Stadt nicht mit mir verlassen wollte und dort geblieben ist.

 

Als wir in Friol ankommen, sind wir zwar müde, aber glücklich ... vor allem glücklich, anzukommen, weil wir einfach auch müde sind. A. und B., die über die Kirche Santa Eulalia gelaufen sind, sind auch schon da. Nach einem bisschen Hin- und Her bekommen T. und ich zwei Einzelzimmer. Hier gibt es keine Herberge, sondern nur ein Gästehaus mit Bar, die nicht viel teurer ist als eine Herberge.

 

Nach dem Duschen und Wäschewaschen besorge ich mir ein kleines Abendbrot. Ich weiß ja noch von letztem Jahr, dass es in der Pension erst sehr spät Essen gibt. So lange mag ich nicht warten - und mein ausgehungerter Bauch schon mal dreimal nicht. Also knabbere ich in meinem Zimmer an Baguette und Käse ... bis mir einfällt, dass ein Einzelzimmer zwar schön ist, aber ich so ja gar nicht mitbekomme, wann die anderen losgehen. Also raffe ich mich auf und nehme noch einmal den langen, beschwerlichen Weg die Treppe hinunter auf mich (und freue mich schon tierisch darauf, all die Stufen auch wieder hinaufsteigen zu müssen), um zu fragen, wann denn Abmarsch ist, da passiert etwas, was mir wirklich Knödel in den Hals macht:

 

Die Türe geht auf und herein kommt ein Pilger, der die Schönheit der Mera ganz offensichtlich im wörtlichsten Sinne des Wortes umwerfend gefunden haben muss. Sein Gesicht ist angeschlagen, am Kopf hat er eine große Beule, die ziemlich geblutet haben muss, und seine Brille ist völlig verbogen. Ich bin bei seinem Anblick so erschrocken, dass ich gar nicht darauf achte, wer es ist (aber ich erkenne ja Menschen eh nur da, wo ich sie vermute, wo sie für mich hingehören; wenn ich sie woanders treffe, dann brauche ich ein Weilchen, bis bei mir der Groschen fällt). Ich denke nur, Heideröslein!, den hat's ganz schön erwischt, und stammel ein Hola ... woraufhin mich der angeditschte Pilger angrinst und ... Ich weiß gar nicht mehr, was er gesagt hat. Jedenfalls hat mir das Gesagte - oder war es seine Stimme? - genügt, dass ich begriff, dass da nicht "irgendein" Pilger vor mir stand und mich durch seine verschobenen Brillengläser angrinste, sondern M.!

 

Das muss ich jetzt erklären:

1. Ihr habt sicher schon hier und da gestutzt, weil ich immer nur in Buchstaben schreibe. Der Grund dafür ist ganz einfach: Ich mag nicht einfach die richtigen Namen benutzen, ohne dafür das Einverständnis zu haben. Weil ich aber, als ich anfing, den Blog zu schreiben, nicht erst auf das Einverständnis warten wollte, habe ich einfach die Buchstaben genommen. Und dann haben die Buchstaben und ich uns so aneinander gewöhnt und sind uns so lieb geworden (also die Buchstaben mir, weil ob ich den Buchstaben auch liebgeworden bin, das weiß ich ja nicht), dass ich es nicht mehr ändern möchte.

 

2.M. ist schlichtweg der Hammer! Wir kannten uns eigentlich nur aus dem Pilgerforum und ich war ihm für so manchen Tipp von Herzen dankbar. Einmal war ich ihm nicht dankbar: Das war kurz bevvor ich 2013 losgezogen bin. Da hat er mir geschrieben, dass meine Lieblingsherberge auf dem Camino francés zu meiner Vorbeilaufzeit leider noch geschlossen hat. Da hat er sich aber - ganz im Gegensatz zu seinen anderen Tipps und Kniffs - geschnitten! Aber dafür konnte er ja nix. Das Heilige Jakobchen hat halt irgendwie gemacht, dass San Nicolás just an dem Tag, an dem ich dort war, für eine Nacht, nämlich gerade die, in der ich dort schlafen wollte, Pilger aufnahm. Sonst hätte er recht gehabt.

Letztes Jahr haben wir uns dann bei unserem jährlichen Forumstreffen kennengelernt, bevor er direkt von dort nach Spanien flog, um - naja, sagen wir mal mehr gelitten (hihihi) als - wohl geleitet und ausgestattet mit meinen damals noch nicht veröffentlichten Bauchfüßlern den Camino de San Salvador und Camino primitivo zu gehen. Ihm verdanke ich die ersten Erfahrungswerte ... die Hauptsächlich aus wildem Geschimpfe über viel zu viel Asphalt bestanden. Ich musste so lachen! Heideröslein!, M. findet Asphalt ja noch schlimmer als ich!

Aus dem Forum wusste ich auch, dass er zur gleichen Zeit in Spanien ist wie ich - allerdings auf einem ganz anderen Camino. So, und jetzt kommt's: Den ist er auch gegangen, war schon in Arzúa (da komme ich übermorgen auch hin), hat von dort den Bus nach Lugo genommen, ist dort ebenfalls heute gestartet (nur eben ein ganzes Stück später als wir), ist unterwegs gestürzt (das ist nicht zu übersehen!) und kommt jetzt hier an - Achtung! - mit einer Tüte Gummibärchen, die er extra für mich aus Deutschland mitgebracht hat und die ganze Zeit durch Spanien geschleppt hat! - Könnt ihr euch vorstellen, wie sprachlos ich bin? Dass ein Mensch soetwas tut ... Ich krieg jetzt noch einen Knoten im Bauch (und den gebe ich auch nicht her, weil das ist ein schöner Knoten).

 

M.: Ich drücke dich noch einmal ganz lieb und feste. Dass du das für mich getan hast, ist ... mir sind noch immer keine passenden Worte eingefallen. Das war mir nicht nur ein Licht auf meinem Camino, sondern eine ganze Flughafenbefeuerungsanlage!

 

 

Gleichzeitig ist es für mich unglaublich, was Menschen für mich tun: Helga, die mich 2013 begleitet hat, Silke, die uns in diesem Jahr nachgereist und nachgewetzt ist, um uns in Carrion einzuholen, obwohl sie eigentlich gar keine Zeit für Camino hatte (ich werde nie vergessen, wie sie mir am Telefon sagte, sie sei in Carrion und an ihr führe gerade ein weißes Auto vorbei ... und eben dieses weiße Auto vor MEINEN Augen vorbeibrummte - Kinders, das war besser als Hollywood!), Wolfgang, der mir eine wunderschöne, selbstgeschnitzte Muschel geschenkt hat, nachdem er mein Buch gelesen hatte, meine Fee, der auf dem Kathedralenplatz auf mich wartete und da war, als es mir richtig ... - naja, ihr wisst schon - ging, Alexandra, die ihre Pilgerfreunde einfach sitzen ließ (eine davon hat völlig perplex am nächsten Morgen am Flughafen erzählt, sie sei einfach davongestürmt, um einen Drachen (das bin ich im Pilgerforum) zu treffen),  die Menschen, die auch von weiter her nach Neuwied zu meiner Autorenlesung kamen, Vera, die uns sofort ein Bett bei sich anbot, obwohl sie uns gar nicht kannte, Peter, unser Nachbar, der mir diesen Stein geschenkt hat (ist der klasse?!), Werner, der mich mit seinen Fotos ganz wuschig auf die Ruta gemacht hat und mir sofort anbot, sie mit mir zu gehen (was dann leider nicht geklappt hat), das Ehepaar T., von dem ich weiß, dass sie jeden meiner Wege genau im Internet verfolgen, ... und jetzt M. mit seiner Tüte Gummibärchen. Ich kriege da einen ganz dicken Knoten drüber im Bauch. Das ist so groß!

 

Überhaupt haben wir/habe ich von jedem einzelnen unserer/meiner Wege so viele Menschen mitgenommen, die wir tief in unseren Bauch hineingeschlossen haben und nie wieder hergeben. Hätte uns jemand 2009 vor unserem ersten Weg gesagt, wie sehr sich unser Leben durch ihn verändern wird - wir hätten uns mit der gespitzten Zeigefingerkuppe an die Stirn getippt: Das geht doch gar nicht! - Doch, das geht und das ist, so unglaublich ich es selbst finde. Und wisst ihr was? Es macht ein tolles Gefühl im Bauch und ich bin unendlich dankbar dafür.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0