29.09.2015 Friol - Sobrado dos Monxes

 

Als wir morgens starten, schläft M. noch. Ich weiß, dass er ein Spätlosgeher ist, und nachdem er sich gestern so wehgetan hat, lassen wir ihn lieber ausschlafen. Ich bin mir sicher: Er wird uns schon einholen.

 

Noch in Friol habe ich mich ja letztes Jahr verlaufen und fand den richtigen Weg nicht. Heute werde ich geführt und brauche nur hinterherzulaufen. Das kriege sogar ich hin! Und ich könnte mich in den Hintern beißen: Heideröslein!, sind Chris und ich letztes Jahr hässlich gegangen, obwohl es richtig so schön ist!

 

 

 

Und es geht schön weiter: wieder durch Wälder und Weiden und entlang dieser Trockenmauern, die ich alle abbauen und mit nach Hause nehmen möchte. Nur hier und da kommen wir kurz durch kleine Dörfer.

 

Dann kommen wir wieder an diese hässliche Straße, die sich zieht und zieht, wie ein ausgenuckelter Kaugummi. Ich weiß ja, dass sie lang ist, aber heute kommt sie mir irgendwie noch länger vor. Am Ende machen wir eine Rucksackpackaus-Rast auf Baumstämmen, bevor wir in O Mesón auf den Camino del Norte treffen.

 

Die Stühle der ersten Bar sind schon von anderen Pilgern besetzt, also gehen wir zur zweiten, die leer ist (sicher nicht zuletzt, weil man zu ihr ein paar Meter über die Rechtsabzweigung des Caminos weiterschlappen muss). Ich bin nicht böse drum. Irgendwie macht es mir wieder ein komisches Gefühl: Alle, mit denen wir die letzten Tage unterwegs waren, sind auf der Südroute, also dem eigentlichen Camino unterwegs. Die Pilger, die wir jetzt treffen, kommen von der Küste und sind mir fremd. Ich fühle mich da immer ein bisschen beklommen - wie man sich in einer neuen Gruppe eben beklommen fühlt, in der man erst noch sein Plätzchen suchen und finden muss und noch nicht weiß, wo man ansetzen soll.

 

Neinneinnein, macht euch keine Gedanken um mich, alles ist gut, denn diese Beklommenheit geht mir auch schon wieder - schwups - verloren, als wir in Sobrado dos Monxes auf dem Platz vor dem noch geschlossenen Kloster ankommen: Da sitzen junge Pilger an einem Tisch und winken uns gleich, wir sollen hier auf keinen Fall etwas essen (nur mal eben: es ist die erste Bar auf der linken Seite; die zweite ist schön und sehr nett. Wir nehmen hier später unseren Schlummer-Hierbas (mmm, den müsst ihr probieren, der ist total lecker! - Was mir unterwegs sicher niemand wirklich glaubt: Ich trinke daheim nur ganz selten Alkohol, weil er mir eigentlich gar nicht schmeckt und ich es nicht mag, wenn es mir im Kopf wabbelig wird und meine Beine sich anfühlen, wie Betonklötze. Wenn ich dann "normal" gehen möchte, habe ich immer von mir selbst den Eindruck, wie ein Dämlack in der Gegend herumzustackseln. - Uuuuh, ich finde das grausig!)). Sie hatten mit ihrem Essen wohl sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Davon, was für Erfahrungen sie mit der Wirtin gemacht haben, kann ich mich gleich selbst überzeugen: Ich stehe noch ein bisschen unschlüssig in der Gegend herum, da kommt sie aus dem Gasthaus gestürmt und geht mit gezücktem Zeigefinger auf einen der Pilger los. Ich denke nur: Nee, ne, das geht ja gar nicht! Das würde ich mich ja selbst bei unseren Leben nicht mehr trauen!

 

Dann muss ich in mich hineinschmunzeln (laut lachen wäre gerade nicht wirklich passend): Als ich einmal so richtig sauer auf Linus war und vor ihm stand und tobte, blieb der ganz ruhig, verschränkte langsam und sehr beeindruckend die Arme vor seiner Brust, ließ seinen Blick "suchend" in der Luft herumschweifen, bevor er sagte: "Komisch, ich höre eine Stimme, die spricht zu mir, aber ich kann gar niemanden sehen." Da muss ich noch dazu sagen, dass das zu einer Zeit war, als sein Blick, wenn er geradeaus guckte, gerade so über meinen Kopf hinwegzuwutschen anfing. Schon da wäre es mir gar nicht mehr in den Sinn gekommen, den ausgestreckten Zeigefinger gegen ihn zu erheben (wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich das vorher überhaupt einmal gemacht habe. Da bin ich ein bisschen von Oma und Opa geprägt: Oma hat ihren Finger immer abgeknickt und bei Opa fehlte eh ein Stück (wenn er zeigte, machte er das immer mit dem Mittelfinger, der damals noch Mittelfinger und nicht Stinkefinger hieß). Sie waren eigentlich Thomas Großeltern und ich lernte sie entsprechend erst durch ihn kennen, aber sie waren, neben meinem Papa, die Menschen, die mich am meisten geprägt haben.). Auch in dieser Situation habe ich nicht den Finger gegen ihn erhoben ... sondern ihm schlicht unten ans Schienbein getreten: "Hier unten bin ich!" - das war ... effektiver!

 

Jedenfalls ist dieses Getobe der Wirtin für mich für zwei Dinge gut:

1. Ich komme mit den jungen Pilgern ins Gespräch (das, wie ich zugeben muss, nicht sehr nett der Wirtin gegenüber verläuft), womit ich mich wieder zugehörig und nicht mehr beklommen fühle, gucke mich um und finde

2. Petra, die einzige meiner Primitivo-Mitpilger, die auch die Nordroute gewählt hat, alleine an einem Tisch sitzen. Das ist doch eine gute Idee! So setzen K., T. und ich uns zu ihr, bestellen uns erst einmal etwas zu trinken und verdüddeln sehr entspannt in der Sonne sitzend und in netten Gesprächen die Zeit, bis die Herberge öffnet.

 

 

 

Das Kloster von Sobrado dos Monxes - ich habe es schon letztes Jahr geliebt! In diesem alten Gemäuer schlafen zu dürfen, ist für mich etwas ganz Besonderes! Es ist so heimelig hier!

 

Heute lerne ich es noch von einer anderen Seite lieben, denn K. kennt den Eingang zur Kirche und gibt mir so die Gelegenheit, sie auch von innen zu besichtigen. Sie ist so schön! Aber ich verstehe nicht, dass man nichts gegen die Feuchtigkeit darinnen tut. An den Fenstern wächst wilder Farn - von innen! Das sieht zwar lustig aus, aber die Nässe greift auch die Mauern, die Wandmalereien und die Steinverzierungen an. Das ist so schade!

 

Tatsächlich merke ich gleich beim Eintreten, dass mir die Luft hier drinnen nicht guttut. Ich schlendere trotzdem kurz in ihr herum. Sie ist es einfach wert, dass man sie sich anguckt. Allerdings habe ich, als ich sie verlasse, keine Stimme mehr und die kommt auch so bald nicht wieder. Ich glaube, hier habe ich mir endgültig den Bibs geholt, an dem ich noch eine ganze Weile meinen Spaß haben werde.

 

Nach dem Abendessen schließt M. wieder zu uns auf. Er ist inzwischen auch angekommen, schläft aber in der privaten Herberge. Und so verbringen wir den Abend ... Von unserem Schlummer-Hierbas hatte ich euch ja schon erzählt.

 

Oh, das muss ich wohl mal erklären:

Hierbas ist ein mit Kräutern bereicherter Orujo (bitte nicht verwechseln mit dem griechischen Ouzo, weil der schmeckt nach Hustenbonbons und der Orujo ... nee, das tut der nicht!) der wiederum ein ursprünglich aus Galicien stammender Branntwein ist. Aber er gehört nicht nur dort zu den Spezialitäten des Landes, sondern es gibt ihn schon und sehr lecker in Asturien.

 

 

 

Weil wir gerade beim Besäufnis sind: Eines meiner "Perlen" dieses Caminos, ist der Begriff chupito. Männer würden ihn als "einen Kurzen", was aber  auf einen Hierbas nicht so gut passt, weil er in einem copa de aqua (Wasserglas) serviert wird (nich in einem vaso de chupito - Schnapsglas), was eindeutig den Vorteil hat, dass da mehr davon hineinpasst!

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